Erfahrungsbericht Brasilien
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- Brasilien
- Träger
- Brasilienprojekte der Karmeliten
- Freiwillige/r
- Claudia Steidle
Strassenkinderprojekt
Durch die Karmelitengemeinschaft erhielten Ursula und ich die Möglichkeit für ein halbes Jahr in einem Projekt für Kinder in Rondonia mitzuhelfen. Leider bekamen wir im Vorfeld keine genaueren Informationen über den Staat Rondonia, die Stadt Rolim de Moura, das Projekt oder unsere eventuellen Aufgaben dort.
Das einzigste was wir wussten war, dass Rondonia ein noch junger Staat ist, die Stadt selbst auch erst vor ca. 20 Jahren gegründet wurde, wir in einem Haus für Kinder mithelfen könnten, welches seit einem oder zwei Jahren existiert, und dass sich Frei Edmilson, der in Rolim de Moura tätig ist und uns eingeladen hatte, sich freut, dass wir kommen werden.
Am 12.11.2000 ging es dann mit einer großen Portion Neugier, Spannung, Ungewissheit und Freude im Gepäck los nach Brasilien. Wir landeten in Sao Paulo, von dort ging es weiter über fast das ganze Land nach Porto Velho, wo uns Frei Edmilson und Frei Dasir am Flughafen abholten. Dann ging es ca. 7 Stunden mit dem Auto weiter nach Rolim de Moura. Schon da war ich fasziniert von der unglaublichen Größe und Schönheit dieses Landes.
Genauso wenig wie wir wussten, was uns erwarten wird, genauso unsicher schienen die Leute in Rolim, was sie denn nun mit uns anfangen sollten. Frei Edmilson war zu der Zeit wohl ziemlich überarbeitet und so bekamen wir ihn in den ersten paar Wochen nur zwei oder dreimal zu Gesicht. Wir wohnten bei einer der reichsten Familien des Ortes und Marlene, unsere Gastmutter, kümmerte sich viel und vor allem anfangs auch aufgrund der Sprachschwierigkeiten mit großer Geduld um uns. Sie zeigte uns die Stadt, Schulen, soziale Einrichtungen und stellte uns vielen Leuten vor.
In den ersten 4 Wochen besuchten wir einen Kindergarten und eine Behindertenschule, was interessant war, wo wir aber eigentlich überflüssig waren, da die Einrichtungen genügend Beschäftigte hatten.
Bis kurz vor Weihnachten war Frei Riva aus Curitiba in Rolim zu Besuch, und unterstützte die Freis hier bei ihrer Arbeit. Er spricht sehr gut deutsch und war für uns deshalb auch eine große Hilfe. So erhielten wir einige Male die Möglichkeit mit in die "Linhas" zu gehen. Das sind die Landgemeinden, die sich im Umkreis um Rolim de Moura befinden, und wo jeweils ein Frei und eine Schwester in eine Gemeinde gehen und dort eine Sitzung abhalten und Gottesdienst feiern. Dies war eine ganz interessante Erfahrung, da es etwas völlig anderes war als das, was ich aus Deutschland kannte. Man konnte hier genau die Begeisterung erkennen und spüren, die die Leute für den Glauben haben und welche Kraft sie daraus schöpfen. Schön fand ich auch die Gastfreundlichkeit, Höflichkeit und das Interesse, das uns die Leute entgegenbrachten. Da wir zu dieser Zeit sprachlich noch unsere Probleme hatten, mussten die Leute viel Geduld und manchmal Phantasie aufbringen, um sich mit uns zu unterhalten. Aber das sind zum Glück Eigenschaften, die fast alle Brasilianer besitzen.
Ab Mitte Dezember gingen wir regelmäßig ins "Pastoral de Menores", der Ort der eigentlich für uns als Arbeitsplatz bestimmt war.
Bei dem "Pastoral de Menores" handelt es sich brasilienweit um eine Hilfseinrichtung für bedürftige Jugendliche ab ca. 12 Jahren, denen dadurch ein Aufenthaltsort sich mit Gleichaltrigen zu treffen gegeben wird, sie ans "Arbeiten" herangeführt werden und im Idealfall sogar die Möglichkeit erhalten, eine Berufsausbildung zu erlangen. Je nach Alter, Erfahrung, Räumlichkeiten, finanziellen Möglichkeiten, Beschäftigte, usw. sind die Pastorais unterschiedlich entwickelt, haben verschiedene Voraussetzungen und können unterschiedliche Möglichkeiten für die Jugendlichen anbieten. Ziel ist auch, die Jugendlichen davor zu bewahren, sich nur auf der Straße aufzuhalten, Drogen zu konsumieren (Klebstoff zu schnüffeln), zu stehlen und sich zu prostituieren.
In Rolim de Moura gibt es das Projekt nun seit ca. 2 Jahren. Das Pastoral ist unter der Woche von 13.00 â 17.00 Uhr geöffnet. Es kommen meistens 30-50 Kinder, wovon 10-20 Kinder 2-10 Jahre alt sind und von ihren älteren Geschwistern mitgebracht werden. Die Jugendlichen bemalen Geschirrtücher und Gummimatten, sticken, häkeln, spielen Fuß- oder Volleyball und bekommen eine warme Mahlzeit. Es sind keine Straßenkinder an sich, die nur auf der Straße leben, das gibt es so zum Glück noch nicht in Rolim, sondern alle haben eine Familie und ein Haus, wo sie abends hinkönnen. Morgens gehen sie in die Schule und mittags können sie ihre Freunde im Pastoral treffen.
Gründerin, Leiterin und somit auch einzigste regelmäßige Arbeitskraft ist Marina, die auch freiwillig im Pastoral arbeitet. Hinzu kommt noch Dona Maria, die nur in der Küche mithilft und ein paar Freiwillige, die den Kindern beim Sticken und Häkeln helfen und ihnen neue Sticktechniken beibringen. Da sie mehr oder weniger regelmäßig nur 1 mal wöchentlich kommen, können sie für die Kinder aber zu keinen richtigen Bezugspersonen werden.
Das Haus wurde mit finanzieller Unterstützung vom Rotary Club gebaut, der aber sonst nichts damit zu tun hat. Das Haus, eigentlich nur eine Holzbaracke besteht aus 2 Räumen, einem großen "Flur", der auch als Raum benutzt wird und einer Küche. Die Toiletten sind außerhalb. Die meisten Tische und Stühle, die zum einen ziemlich altersschwach sind und zum anderen oft gar nicht für alle Kinder ausreichen sind vor dem Haus unter einem großen Dach aufgestellt. Es gibt 4 alte Schreibmaschinen ein paar Bälle, ein Volleyballnetz, nun auch meistens genug Papier und Malstifte für die Kleineren und das benötigte Material zum Arbeiten für die Älteren wird von Marina auch immer besorgt.
Die Oberleitung hat die Kirche übertragen bekommen, damit das Haus immer für "gute Zwecke" benutzt wird. Leider ist die finanzielle Unterstützung von seitens der Kirchengemeinde relativ gering und meistens nur in Notfällen möglich. Der Gewinn, der beim Verkauf der Arbeiten herausspringt ist äußerst gering und reicht bei weitem noch nicht aus, um das Projekt selbst zu finanzieren, was aber eigentlich ein Plan bzw. Wunsch ist. Die Geldmittel, die vom Bürgermeister zur Verfügung gestellt werden müssten, bleiben meistens aus bzw. beschränken sich auf ein Minimum oder eine Nahrungsspende kurz vor Weihnachten. So ist das Projekt hauptsächlich von Spenden abhängig, z.B. erhält man für das tägliche Essen öfters Spenden von einem großen Schlachthaus der Stadt oder von Supermärkten.
Es herrschen somit schon von vorneherein schwierige Bedingungen, das Haus überhaupt zu "bewirtschaften". Hinzu kommt, dass bedingt durch z.B. das Raumproblem oder dadurch dass es nur eine konstante Arbeitskraft gibt, notwendige Strukturen fehlen, um noch effektiver mit den Kindern arbeiten zu können.
Im März hat man nun begonnen, das Haus umzubauen und zu vergrößern, so dass nun zumindest räumlich bessere Bedingungen geschafft werden können. Wie mir Ursula erzählte, gibt es nun ein Büro und drei weitere Arbeitsräume für die Kinder. Unsere Aufgaben im Pastoral waren anfangs völlig ungeklärt und so mussten wir ausprobieren und selber suchen. Es ergab sich dann so, dass sich Ursula mehr mit den "Älteren" beschäftigte, anfangs Schreibmaschinenunterricht gab oder Modeschmuck bastelte. Ich kümmerte mich mehr um die Kleinen. Wir bastelten Brettspiele, Memory, Mikado, malten, spielten, bastelten mit einfachsten Materialien, ich las ihnen vor (so gut es nun mal ging) bzw. übte mit de älteren von ihnen lesen,... Es war wohl das erste Mal, dass es jemanden gab, der sich direkt um sie kümmerte, denn seither war es einfach aus "Personalmangel" nicht möglich gewesen. Sie waren es anfangs auch gar nicht "gewohnt", dass jemand nur etwas mit ihnen machte. Es war aber schön zu sehen, wie ich ihr Vertrauen gewinnen konnte und sie dann mit viel Spaß mitmachten. Schwierigkeiten gab es ab und zu dadurch, dass wir einfach keinen Raum hatten, wo man ungestört mit einer Gruppe etwas machen konnte und sie somit von jeder Kleinigkeit abgelenkt wurden. Fehlende Materialien oder nicht ausreichende Stühle und Tische waren anfangs zwar ein Problem, aber gleichzeitig auch Ansporn, mit den einfachsten Dingen etwas herzustellen. So saßen wir auch öfters mal im Kieshaufen und spielten dort oder bastelten mit alten Zeitungen, Blättern und Zweigen. Erstaunlich war für mich auch zu sehen wie viel Phantasie die Kinder haben und sich mit "Nichts" beschäftigen konnten. Wenn mir die Jungs ihren Salto von einem wackligen Tisch herunter vorführten, konnte ich nur noch mit offenem Mund staunen.
Als im März die Bauarbeiten für das neue Haus begannen, kamen weniger Kinder und ich hatte öfters die Gelegenheit mich einfach zu den Älteren dazuzusetzen, selbst mitzuhäkeln, mit ihnen zu reden, ihnen zuzuhören, ihre Fragen zu beantworten, nach ihrer getanen Arbeit mit ihnen zu spielen, und ihnen einfach Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken.
Ich denke nicht, dass ich durch meine Anwesenheit besonders viel für sie veränderte oder verbesserte, aber es hat sich ein richtig schöner, netter und lieber Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen aufgebaut, und ich glaube, es war gut und wichtig für sie, dass jemand für sie Zeit hatte und für sie da war. Sie hatten uns von Anfang an freundlich und offen aufgenommen, und vor allem als es mit der Sprache noch nicht so gut lief ganz viel Geduld mit uns. So waren es oft Kleinigkeiten, wenn z.B. anfangs schüchterne Kinder doch hinzukamen und begeistert mitbastelten oder wenn einer, der am Anfang erst nach langem Überreden bereit war, mit mir lesen zu üben, plötzlich von sich aus herkam und nach einem anderen Buch fragte, die für manche Schwierigkeit entschädigten und für die es sich schon lohnte, dort zu sein.
Als Schwierigkeit stellte sich nach einiger Zeit leider auch die Zusammenarbeit mit Marina heraus. Marina ist ein herzensguter Mensch, die viel erreicht und geleistet hat mit dem Pastoral und ich bin schon beeindruckt von diesem Wirken und ziehe den Hut vor diesen beachtenswerten Leistungen und dem Eintreten und Einsatz für die Kinder.
Anfangs sagte sie immer, wir könnten machen was wir wollen, alles was wir machten wäre gut usw. Leider band sie uns aber nie in Entscheidungen mit ein, sagte an einem Tag so, am nächsten Tag handelte sie genau anders, blockte Anregungen unsererseits ab und gab uns nicht immer die nötige Rückendeckung und Unterstützung, die teilweise nötig gewesen wäre. Sie wies uns öfters mal auf den "Kulturunterschied" hin und dass wir die Situation doch nicht so richtig einschätzen könnten. Ich kann all ihren Entscheidungen zwar nicht hundertprozentig zustimmen, aber wir schafften es doch gut miteinander auszukommen. Allerdings schraubten Ursula und ich mit der Zeit unsere Ansprüche herunter und versuchten das beste aus der Tatsache, vor die uns Marina mal wieder gestellt hatte zu machen. So änderten sich irgendwann mal meine Erwartungen und Vorstellungen und es genügte mir, möglichst viel mit den Kindern zu machen und Kontakte zu ihnen aufzubauen.
Über die Karwoche hatte ich noch die Gelegenheit mit Frei Riva und Schwester Antonietta (eine Combonischwester, die auch in Rolim tätig ist) 10 Tage in Buritis, ca. 400km von Rolim entfernt zu verbringen. Auch dort hatte ich einen ganz interessanten Einblick in die Arbeit eines Priesters und einer Schwester, erfuhr ein wenig von den "religiösen Problemen" einer neuen Stadt ohne eigenen Priester und lernte vor allem auch viele neue nette Personen kennen und schätzen.
Außerhalb unserer Arbeit hatten wir genug Zeit um bei Jugendgruppen teilzunehmen, viele Kontakte zu schaffen und Freundschaften zu schließen und erhielten somit einen Einblick in das Leben verschiedener Klassen. Anfangs war es teilweise wohl schwieriger engeren und beständigeren Kontakt zu Jugendlichen ärmerer Klassen aufzubauen, da wir wie gesagt bei einer reicheren Familie untergebracht waren, unsere Gastmutter war mittlerweile zur Stadträtin gewählt worden, und für manche eine gewisse Hemmschwelle da war, einfach mal kurz im Haus der "Vereadora" anzurufen. Vielen war zuerst noch gar nicht klar, dass wir nach Rolim gekommen sind, um einen Freiwilligendienst zu leisten, sondern manche dachten, wir seien Verwandte oder Bekannte der Gastfamilie.
Abschließend kann ich sagen, dass ich 7 wunderschöne Monate in Brasilien verbracht habe. Ich durfte viele nette, offene, fröhliche, lebenslustige, warmherzige, liebe und vor allem gastfreundliche Menschen kennen lernen, die alles nicht ganz so eng sehen, sondern einfach noch etwas mehr leben. Und das, obwohl sie viel schwierigere Lebensbedingungen haben als wir hier bei uns. Ich war zwar ein Fremder und Ausländer in diesem Land, aber nur selten habe ich mich fremd behandelt gefühlt. Es war ganz anders als ich es mir zuvor vorgestellt hatte und obwohl sicher nicht alles immer ganz so einfach war, will ich keinen einzigen Tag von dieser Zeit, die viel zu schnell vorüberging, missen.
Auch war es mal ganz interessant zu erfahren, wie man sich als Ausländer in einem fremden Land mit fremder Sprache, fremden Menschen, fremder Kultur fühlt und wie viel da ein Lächeln, ein kurzes "wie geht's", ein bisschen Aufmerksamkeit bewirken kann.
Ich denke, ich habe in dieser Zeit für mich wahrscheinlich mehr gelernt als ich anderen beibringen konnte: was wirklich wichtig ist im Leben und wie wenig man eigentlich braucht, sich selber nicht immer ganz so wichtig nehmen, offen für andere Menschen sein und offen auf andere zuzugehen. Die herrschende Armut zu sehen und die Probleme der Menschen nicht nur zu sehen, sondern auch die Hintergründe und Zusammenhänge, aber leider manchmal auch die Ausweglosigkeit zu erkennen, dies und alles waren Erfahrungen, die noch lange in mir wirken werden.
Wenn jemand nähere Informationen möchte oder Fragen hat, kann er sich gerne bei mir melden:
Claudia Steidle
Das einzigste was wir wussten war, dass Rondonia ein noch junger Staat ist, die Stadt selbst auch erst vor ca. 20 Jahren gegründet wurde, wir in einem Haus für Kinder mithelfen könnten, welches seit einem oder zwei Jahren existiert, und dass sich Frei Edmilson, der in Rolim de Moura tätig ist und uns eingeladen hatte, sich freut, dass wir kommen werden.
Am 12.11.2000 ging es dann mit einer großen Portion Neugier, Spannung, Ungewissheit und Freude im Gepäck los nach Brasilien. Wir landeten in Sao Paulo, von dort ging es weiter über fast das ganze Land nach Porto Velho, wo uns Frei Edmilson und Frei Dasir am Flughafen abholten. Dann ging es ca. 7 Stunden mit dem Auto weiter nach Rolim de Moura. Schon da war ich fasziniert von der unglaublichen Größe und Schönheit dieses Landes.
Genauso wenig wie wir wussten, was uns erwarten wird, genauso unsicher schienen die Leute in Rolim, was sie denn nun mit uns anfangen sollten. Frei Edmilson war zu der Zeit wohl ziemlich überarbeitet und so bekamen wir ihn in den ersten paar Wochen nur zwei oder dreimal zu Gesicht. Wir wohnten bei einer der reichsten Familien des Ortes und Marlene, unsere Gastmutter, kümmerte sich viel und vor allem anfangs auch aufgrund der Sprachschwierigkeiten mit großer Geduld um uns. Sie zeigte uns die Stadt, Schulen, soziale Einrichtungen und stellte uns vielen Leuten vor.
In den ersten 4 Wochen besuchten wir einen Kindergarten und eine Behindertenschule, was interessant war, wo wir aber eigentlich überflüssig waren, da die Einrichtungen genügend Beschäftigte hatten.
Bis kurz vor Weihnachten war Frei Riva aus Curitiba in Rolim zu Besuch, und unterstützte die Freis hier bei ihrer Arbeit. Er spricht sehr gut deutsch und war für uns deshalb auch eine große Hilfe. So erhielten wir einige Male die Möglichkeit mit in die "Linhas" zu gehen. Das sind die Landgemeinden, die sich im Umkreis um Rolim de Moura befinden, und wo jeweils ein Frei und eine Schwester in eine Gemeinde gehen und dort eine Sitzung abhalten und Gottesdienst feiern. Dies war eine ganz interessante Erfahrung, da es etwas völlig anderes war als das, was ich aus Deutschland kannte. Man konnte hier genau die Begeisterung erkennen und spüren, die die Leute für den Glauben haben und welche Kraft sie daraus schöpfen. Schön fand ich auch die Gastfreundlichkeit, Höflichkeit und das Interesse, das uns die Leute entgegenbrachten. Da wir zu dieser Zeit sprachlich noch unsere Probleme hatten, mussten die Leute viel Geduld und manchmal Phantasie aufbringen, um sich mit uns zu unterhalten. Aber das sind zum Glück Eigenschaften, die fast alle Brasilianer besitzen.
Ab Mitte Dezember gingen wir regelmäßig ins "Pastoral de Menores", der Ort der eigentlich für uns als Arbeitsplatz bestimmt war.
Bei dem "Pastoral de Menores" handelt es sich brasilienweit um eine Hilfseinrichtung für bedürftige Jugendliche ab ca. 12 Jahren, denen dadurch ein Aufenthaltsort sich mit Gleichaltrigen zu treffen gegeben wird, sie ans "Arbeiten" herangeführt werden und im Idealfall sogar die Möglichkeit erhalten, eine Berufsausbildung zu erlangen. Je nach Alter, Erfahrung, Räumlichkeiten, finanziellen Möglichkeiten, Beschäftigte, usw. sind die Pastorais unterschiedlich entwickelt, haben verschiedene Voraussetzungen und können unterschiedliche Möglichkeiten für die Jugendlichen anbieten. Ziel ist auch, die Jugendlichen davor zu bewahren, sich nur auf der Straße aufzuhalten, Drogen zu konsumieren (Klebstoff zu schnüffeln), zu stehlen und sich zu prostituieren.
In Rolim de Moura gibt es das Projekt nun seit ca. 2 Jahren. Das Pastoral ist unter der Woche von 13.00 â 17.00 Uhr geöffnet. Es kommen meistens 30-50 Kinder, wovon 10-20 Kinder 2-10 Jahre alt sind und von ihren älteren Geschwistern mitgebracht werden. Die Jugendlichen bemalen Geschirrtücher und Gummimatten, sticken, häkeln, spielen Fuß- oder Volleyball und bekommen eine warme Mahlzeit. Es sind keine Straßenkinder an sich, die nur auf der Straße leben, das gibt es so zum Glück noch nicht in Rolim, sondern alle haben eine Familie und ein Haus, wo sie abends hinkönnen. Morgens gehen sie in die Schule und mittags können sie ihre Freunde im Pastoral treffen.
Gründerin, Leiterin und somit auch einzigste regelmäßige Arbeitskraft ist Marina, die auch freiwillig im Pastoral arbeitet. Hinzu kommt noch Dona Maria, die nur in der Küche mithilft und ein paar Freiwillige, die den Kindern beim Sticken und Häkeln helfen und ihnen neue Sticktechniken beibringen. Da sie mehr oder weniger regelmäßig nur 1 mal wöchentlich kommen, können sie für die Kinder aber zu keinen richtigen Bezugspersonen werden.
Das Haus wurde mit finanzieller Unterstützung vom Rotary Club gebaut, der aber sonst nichts damit zu tun hat. Das Haus, eigentlich nur eine Holzbaracke besteht aus 2 Räumen, einem großen "Flur", der auch als Raum benutzt wird und einer Küche. Die Toiletten sind außerhalb. Die meisten Tische und Stühle, die zum einen ziemlich altersschwach sind und zum anderen oft gar nicht für alle Kinder ausreichen sind vor dem Haus unter einem großen Dach aufgestellt. Es gibt 4 alte Schreibmaschinen ein paar Bälle, ein Volleyballnetz, nun auch meistens genug Papier und Malstifte für die Kleineren und das benötigte Material zum Arbeiten für die Älteren wird von Marina auch immer besorgt.
Die Oberleitung hat die Kirche übertragen bekommen, damit das Haus immer für "gute Zwecke" benutzt wird. Leider ist die finanzielle Unterstützung von seitens der Kirchengemeinde relativ gering und meistens nur in Notfällen möglich. Der Gewinn, der beim Verkauf der Arbeiten herausspringt ist äußerst gering und reicht bei weitem noch nicht aus, um das Projekt selbst zu finanzieren, was aber eigentlich ein Plan bzw. Wunsch ist. Die Geldmittel, die vom Bürgermeister zur Verfügung gestellt werden müssten, bleiben meistens aus bzw. beschränken sich auf ein Minimum oder eine Nahrungsspende kurz vor Weihnachten. So ist das Projekt hauptsächlich von Spenden abhängig, z.B. erhält man für das tägliche Essen öfters Spenden von einem großen Schlachthaus der Stadt oder von Supermärkten.
Es herrschen somit schon von vorneherein schwierige Bedingungen, das Haus überhaupt zu "bewirtschaften". Hinzu kommt, dass bedingt durch z.B. das Raumproblem oder dadurch dass es nur eine konstante Arbeitskraft gibt, notwendige Strukturen fehlen, um noch effektiver mit den Kindern arbeiten zu können.
Im März hat man nun begonnen, das Haus umzubauen und zu vergrößern, so dass nun zumindest räumlich bessere Bedingungen geschafft werden können. Wie mir Ursula erzählte, gibt es nun ein Büro und drei weitere Arbeitsräume für die Kinder. Unsere Aufgaben im Pastoral waren anfangs völlig ungeklärt und so mussten wir ausprobieren und selber suchen. Es ergab sich dann so, dass sich Ursula mehr mit den "Älteren" beschäftigte, anfangs Schreibmaschinenunterricht gab oder Modeschmuck bastelte. Ich kümmerte mich mehr um die Kleinen. Wir bastelten Brettspiele, Memory, Mikado, malten, spielten, bastelten mit einfachsten Materialien, ich las ihnen vor (so gut es nun mal ging) bzw. übte mit de älteren von ihnen lesen,... Es war wohl das erste Mal, dass es jemanden gab, der sich direkt um sie kümmerte, denn seither war es einfach aus "Personalmangel" nicht möglich gewesen. Sie waren es anfangs auch gar nicht "gewohnt", dass jemand nur etwas mit ihnen machte. Es war aber schön zu sehen, wie ich ihr Vertrauen gewinnen konnte und sie dann mit viel Spaß mitmachten. Schwierigkeiten gab es ab und zu dadurch, dass wir einfach keinen Raum hatten, wo man ungestört mit einer Gruppe etwas machen konnte und sie somit von jeder Kleinigkeit abgelenkt wurden. Fehlende Materialien oder nicht ausreichende Stühle und Tische waren anfangs zwar ein Problem, aber gleichzeitig auch Ansporn, mit den einfachsten Dingen etwas herzustellen. So saßen wir auch öfters mal im Kieshaufen und spielten dort oder bastelten mit alten Zeitungen, Blättern und Zweigen. Erstaunlich war für mich auch zu sehen wie viel Phantasie die Kinder haben und sich mit "Nichts" beschäftigen konnten. Wenn mir die Jungs ihren Salto von einem wackligen Tisch herunter vorführten, konnte ich nur noch mit offenem Mund staunen.
Als im März die Bauarbeiten für das neue Haus begannen, kamen weniger Kinder und ich hatte öfters die Gelegenheit mich einfach zu den Älteren dazuzusetzen, selbst mitzuhäkeln, mit ihnen zu reden, ihnen zuzuhören, ihre Fragen zu beantworten, nach ihrer getanen Arbeit mit ihnen zu spielen, und ihnen einfach Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken.
Ich denke nicht, dass ich durch meine Anwesenheit besonders viel für sie veränderte oder verbesserte, aber es hat sich ein richtig schöner, netter und lieber Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen aufgebaut, und ich glaube, es war gut und wichtig für sie, dass jemand für sie Zeit hatte und für sie da war. Sie hatten uns von Anfang an freundlich und offen aufgenommen, und vor allem als es mit der Sprache noch nicht so gut lief ganz viel Geduld mit uns. So waren es oft Kleinigkeiten, wenn z.B. anfangs schüchterne Kinder doch hinzukamen und begeistert mitbastelten oder wenn einer, der am Anfang erst nach langem Überreden bereit war, mit mir lesen zu üben, plötzlich von sich aus herkam und nach einem anderen Buch fragte, die für manche Schwierigkeit entschädigten und für die es sich schon lohnte, dort zu sein.
Als Schwierigkeit stellte sich nach einiger Zeit leider auch die Zusammenarbeit mit Marina heraus. Marina ist ein herzensguter Mensch, die viel erreicht und geleistet hat mit dem Pastoral und ich bin schon beeindruckt von diesem Wirken und ziehe den Hut vor diesen beachtenswerten Leistungen und dem Eintreten und Einsatz für die Kinder.
Anfangs sagte sie immer, wir könnten machen was wir wollen, alles was wir machten wäre gut usw. Leider band sie uns aber nie in Entscheidungen mit ein, sagte an einem Tag so, am nächsten Tag handelte sie genau anders, blockte Anregungen unsererseits ab und gab uns nicht immer die nötige Rückendeckung und Unterstützung, die teilweise nötig gewesen wäre. Sie wies uns öfters mal auf den "Kulturunterschied" hin und dass wir die Situation doch nicht so richtig einschätzen könnten. Ich kann all ihren Entscheidungen zwar nicht hundertprozentig zustimmen, aber wir schafften es doch gut miteinander auszukommen. Allerdings schraubten Ursula und ich mit der Zeit unsere Ansprüche herunter und versuchten das beste aus der Tatsache, vor die uns Marina mal wieder gestellt hatte zu machen. So änderten sich irgendwann mal meine Erwartungen und Vorstellungen und es genügte mir, möglichst viel mit den Kindern zu machen und Kontakte zu ihnen aufzubauen.
Über die Karwoche hatte ich noch die Gelegenheit mit Frei Riva und Schwester Antonietta (eine Combonischwester, die auch in Rolim tätig ist) 10 Tage in Buritis, ca. 400km von Rolim entfernt zu verbringen. Auch dort hatte ich einen ganz interessanten Einblick in die Arbeit eines Priesters und einer Schwester, erfuhr ein wenig von den "religiösen Problemen" einer neuen Stadt ohne eigenen Priester und lernte vor allem auch viele neue nette Personen kennen und schätzen.
Außerhalb unserer Arbeit hatten wir genug Zeit um bei Jugendgruppen teilzunehmen, viele Kontakte zu schaffen und Freundschaften zu schließen und erhielten somit einen Einblick in das Leben verschiedener Klassen. Anfangs war es teilweise wohl schwieriger engeren und beständigeren Kontakt zu Jugendlichen ärmerer Klassen aufzubauen, da wir wie gesagt bei einer reicheren Familie untergebracht waren, unsere Gastmutter war mittlerweile zur Stadträtin gewählt worden, und für manche eine gewisse Hemmschwelle da war, einfach mal kurz im Haus der "Vereadora" anzurufen. Vielen war zuerst noch gar nicht klar, dass wir nach Rolim gekommen sind, um einen Freiwilligendienst zu leisten, sondern manche dachten, wir seien Verwandte oder Bekannte der Gastfamilie.
Abschließend kann ich sagen, dass ich 7 wunderschöne Monate in Brasilien verbracht habe. Ich durfte viele nette, offene, fröhliche, lebenslustige, warmherzige, liebe und vor allem gastfreundliche Menschen kennen lernen, die alles nicht ganz so eng sehen, sondern einfach noch etwas mehr leben. Und das, obwohl sie viel schwierigere Lebensbedingungen haben als wir hier bei uns. Ich war zwar ein Fremder und Ausländer in diesem Land, aber nur selten habe ich mich fremd behandelt gefühlt. Es war ganz anders als ich es mir zuvor vorgestellt hatte und obwohl sicher nicht alles immer ganz so einfach war, will ich keinen einzigen Tag von dieser Zeit, die viel zu schnell vorüberging, missen.
Auch war es mal ganz interessant zu erfahren, wie man sich als Ausländer in einem fremden Land mit fremder Sprache, fremden Menschen, fremder Kultur fühlt und wie viel da ein Lächeln, ein kurzes "wie geht's", ein bisschen Aufmerksamkeit bewirken kann.
Ich denke, ich habe in dieser Zeit für mich wahrscheinlich mehr gelernt als ich anderen beibringen konnte: was wirklich wichtig ist im Leben und wie wenig man eigentlich braucht, sich selber nicht immer ganz so wichtig nehmen, offen für andere Menschen sein und offen auf andere zuzugehen. Die herrschende Armut zu sehen und die Probleme der Menschen nicht nur zu sehen, sondern auch die Hintergründe und Zusammenhänge, aber leider manchmal auch die Ausweglosigkeit zu erkennen, dies und alles waren Erfahrungen, die noch lange in mir wirken werden.
Wenn jemand nähere Informationen möchte oder Fragen hat, kann er sich gerne bei mir melden:
Claudia Steidle