Erfahrungsbericht Rumänien
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- Rumänien
- Träger
- EIRENE International
- Freiwillige/r
- Johanna Progscha
Kinderzentrum im Centrul de Zi ?ara Minunilor
Rundbrief - April 2006
Mein neues Projekt, das Tageszentrum Tara Minunilor â Wunderland
Der Kindergarten mit dem vielversprechenden Namen Tara Minunilor -Wunderland- ist ein staatlich finanziertes Projekt und befindet sich am Stadtrand von Cluj. Die Kinder, die dort aufgenommen werden, sind Romakinder im Vorschulalter, die mit ihren Eltern in zwei verschiedenen Siedlungen in unmittelbarer Nähe der Müllhalde der Stadt leben. Die Wohnungen bestehen - für die Familien, die Glück gehabt haben - aus kleinen Holzhütten, kaum größer als mein eigenes Zimmer, oder - für die, die weniger Glück gehabt haben - aus Hütten, die aus allen möglichen Materialien zusammengebastelt sind. Blech, Holz, Plastikplanen, Styropor und ähnliches auf der Müllkippe und den Straßen auffindbares Material werden zur Konstruktion und Ausbesserung der Behausungen verwendet. Statt Wegen zwischen den Hütten ist dort einfach Wiese oder Müll, Matsch und Dreck, bis auf an einigen Stellen aufgeschüttete Kiesel; seit kurzem ist zumindest eine Wasserleitung vorhanden. Viele der Eltern sind alkoholsüchtig, kaum jemand kann lesen und schreiben; ihren Lebensunterhalt erwirtschaften sie sich hauptsächlich von der Müllkippe oder den Abfalltonnen und âhaufen in der Stadt, aus denen sie zum Beispiel Eisenteile, Plastikflaschen oder andere irgendwie zu Geld machbare Dinge heraussuchen. Die wenigen, die einen Job haben, arbeiten entweder in Kantinen, einer Art von Armenspeisungen, aus denen sie selbst ihr Essen beziehen, oder verdienen ihr Geld bezeichnenderweise bei der Stadtreinigung, sammeln auf, was von anderen Leuten weggeworfen wird und was andere Roma aus Pata Rât, so der Name der Straße auf dem Weg zur Müllkippe, wiederum auf Brauchbares durchwühlen werden. Das Leben der Kinder ist unter diesen Bedingungen von Gewalt geprägt, zu Hause wird die Mehrzahl von ihnen geschlagen und vernachlässigt, sie leben in äußerst ungesunder Umgebung, in der Gesellschaft stellen sie den absoluten Rand dar. Die meisten von ihnen sind wegen mangelnder Reize, Förderung und Zuwendung intellektuell zurückgeblieben. Ihr Leben zu Hause spielt sich wie das ihrer Eltern auf der Müllkippe ab; dort ist niemand, der auf Lernfortschritte achten würde, ihnen vorlesen, Geschichten erzählen, mit ihnen malen, basteln, spielen, geschweige denn ihnen die noch viel wichtigere Aufmerksamkeit und Zuneigung schenken würde. Einen Stift in die Hand bekommen würden wohl die wenigsten ohne das Tageszentrum; manche haben starke Konzentrationsschwierigkeiten, vergessen von einer zur anderen Sekunde, was für eine Zahl sie etwa gerade geschrieben haben; viele von ihnen antworten auf die einfachsten Fragen nicht - sie sind es einfach nicht gewöhnt, gefragt zu werden. In einigen Fällen leben Geschwisterkinder nicht bei den Familien, sie sind in Kinderheimen oder zur Adoption freigegeben worden. Das Ziel des Projektes ist es nun, zum einen weiteren Fällen von Freigabe zur Adoption oder Aussetzung von Kindern vorzubeugen und zum anderen die Defizite der Kinder auszugleichen, sie soweit voranzubringen, dass sie mit sieben Jahren auf eine normale Schule gehen können. Dazu müssen tatsächlich kleine Wunder vollbracht werden; es ist angesichts der Probleme der Kinder und nicht zuletzt wegen der Diskriminierung der Romas, wie sie sich auch in den Schulen abspielt, mehr als ein schwieriges Unterfangen. Die Eltern schicken ihre Söhne und Töchter, wenn überhaupt, oft lieber auf Sonderschulen, da diese sich um deren Transport zur Schule kümmern und über Sozialarbeiter verfügen, die die Familien weiterhin begleiten und sie mit ihren Schwierigkeiten nicht völlig allein lassen. Regelschulen verfügen über keine dieser Betreuungsmöglichkeiten, die in solchen Fällen unablässig ist. Nur leider werden die Schüler in Sonderschulen, auf denen die Mehrzahl der Kinder landet, mehr oder weniger nur aufbewahrt, lernen kaum lesen und schreiben und haben so keinerlei Chancen auf eine vernünftige, ihnen eine andere Zukunft ermöglichende Schulbildung. Ein anderer Punkt ist, dass viele der Roma, haben sie es auf eine normale Schule geschafft oder nicht, nur sporadisch oder bald gar nicht mehr am Unterricht teilnehmen. In ihrer Umgebung spielen andere Dinge als korrekte Grammatik eine Rolle, außerdem sind sie als âZigeunerâ oft wegen ihrer Hautfarbe oder ihres wenig gepflegten Aussehens den Repressalien ihrer Mitschüler und Lehrer ausgesetzt. Um den Schulbesuch von der rechtlichen Seite überhaupt möglich zu machen und den Familien den Zugang zu sozialen Förderungsmitteln zu öffnen, ist außerdem noch ein Sozialarbeiter angestellt. Er klärt sie über ihre Rechte auf und hilft bei Behördengängen, kümmert sich etwa um die Ausstellung von Ausweisen und Geburtsurkunden, die kaum einer der Bewohner von âDallasâ, wie die Siedlungen an der Müllhalde genannt werden, besitzt. Sind sie einmal amtlich registriert, sorgt er dafür, dass ihnen zustehende staatliche Fördergelder beantragt werden. Die 30 Schützlinge von Tara Minunilor (bzw. diejenigen, die an dem jeweiligen Tag auch tatsächlich kommen) werden morgens abgeholt und im Kindergarten als erstes geduscht und wenn nötig auch entlaust. Für die Zeit im Tageszentrum bekommen sie saubere Klamotten, drei Mahlzeiten und werden in vier Altersgruppen betreut. Nachmittags gegen fünf Uhr werden sie dann wieder zurück nach Hause gebracht. Ich habe die Aufgabe, in der Gruppe der ältesten Kindern mitzuhelfen, sie zu beaufsichtigen, ihnen Buchstaben und Zahlen beizubringen und in der freien Zeit mit ihnen zu spielen. Auch begleite ich den Sozialarbeiter manchmal zu verschiedenen Behörden oder Besuchen bei den Familien.
Erste Eindrücke aus dem Wunderland
Dass es Slums und elendige Lebensbedingungen gibt und dass das Leben sich in den meisten Fällen nicht auf dem Standard deutscher Mittelstandsverhältnisse abspielt, war mir schon vor meinen ersten Tagen im Kindergarten klar. Auch hatte ich schnell mitbekommen, dass Roma in Rumänien von fast allen Seiten Vorurteilen ausgesetzt sind und ausgegrenzt in oft schlimmen Verhältnissen leben. Und doch hätte ich nicht gedacht, dass es ein so riesengroßer Unterschied ist, dieses einerseits theoretisch zu wissen und andererseits konkret an den Kindern zu erfahren: sie beim Namen zu kennen, ihre Eigenarten zu erleben und dabei zu wissen, wie sie leben, was sie tagtäglich sehen und was für sie ânormalâ ist. Zu vielem, was ich aus dem Leben der Kinder mitbekommen habe, fiel und fällt mir einfach nichts mehr ein, ich wusste nicht, was ich dazu sagen und wie ich damit fertig werden sollte. Mir schien anfangs einfach die ganze Ungerechtigkeit der Welt auf einmal vor Augen zu stehen. Ich hatte das Gefühl, an all diesen Ungerechtigkeiten, die ich erlebte und jeden Tag mitbekam, persönlich Schuld zu sein. Wie ich so ein unverschämtes Glück haben konnte und in solchen Verhältnissen aufwachsen konnte, wie ich es getan habe, letztlich alle Möglichkeiten offen zu haben und dann ohne schlechtes Gewissen diese Kinder anzusehen, war mir unverständlich und unmöglich. Hinzu kam, dass ich in der Anfangszeit in dem neuen Projekt ziemlich unter Druck stand. Ich hatte allein danach gesucht, musste ziemlich viele u.a. vertragliche Sachen dort abklären und war mir auch nicht sicher, ob diese Arbeitsstelle wirklich die beste Wahl war. Nach diesen Entscheidungen im Dezember beschloss ich im Januar noch umzuziehen, die zwar letztlich schnelle und unkomplizierte Wohnungssuche kostete wiederum Energie und Konzentration. Ende Januar war das Maß anscheinend voll: Die Erkältung, die ich eigentlich seit sechs Monaten mit mir herumgeschleppt hatte, brach wieder aus und nach drei Wochen Krankenruhe, mehreren Arztbesuchen und ohne Besserung fuhr ich für drei Wochen nach Deutschland, um dort mit etwas Abstand erst einmal wieder auf die Beine zu kommen. Erst nach der Rückkehr nach Cluj verstand ich, dass ich für meine bisherigen Lebensumstände nicht verantwortlich bin und auch nicht alle Ungleichheit von heute auf morgen beheben kann, sondern sie zu einem gewissen Grad aushalten muss. Mit dieser Einstellung habe ich auch wieder etwas Atem schöpfen können und bin nun in der Lage, meine Konzentration auf meine eigentliche Arbeit zu lenken. Ich kann feststellen, wie viel Spaß mir die Zeit mit den Kindern doch bringt, wie schön es ist, mit einem Kinderlächeln im Kopf den Heimweg anzutreten und dass ich allein durch meine Anwesenheit bei den Kindern etwas Sinnvolles tun kann. Und ich kann nur sagen, dass ich mich in jedes einzelne der 30 Kinder schon in der ersten Woche verliebt habe. Da ist R., die ein so wunderbar griesgrämiges Gesicht ziehen kann; der kleine C., der beim Gehen immer noch ein bisschen aussieht wie ein kleiner watschelnder Welpe; A., die schon jetzt wunderschön ist (und sich dieser Schönheit auch durchaus bewusst ist); A. oder D., die mit ihren vier Jahren schon mit einem beeindruckenden Hüftschwung tanzt; R., der immer den Kleinsten beim Anziehen oder Bettmachen hilft; C., die immer wahnsinnig viel zu erzählen hat; N. der, wenn er Mittagsschlaf machen soll, einfach nicht einschläft... Wenn es nicht den Rahmen eines Rundbriefes sprengen würde, würde ich zu jedem der Kinder noch viel mehr erzählen.
Die Situation der Kinder kann ich nicht ändern, ihre Zukunft wahrscheinlich auch nicht. Was ich aber versuche, ist ihnen ein bisschen Wärme, Zuneigung und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, ihnen etwas davon zu geben, was sie in ihrem Leben sonst kaum bekommen - ihnen ein ganz kleines bisschen von dem Glück, dass ich hatte, abzugeben. Manchmal erscheint mir auch das schwierig, angesichts der Erziehungsmethoden mancher Kollegen, mit denen ich nicht immer ganz übereinstimme. Doch die Kinder, die mich morgens anstrahlen, sich auf meinen Schoss setzen, mir mittags neben sich auf ihren Betten Platz machen, damit ich auch ein bisschen schlafen kann oder unbedingt mit mir spielen wollen, geben mir doch immer wieder die Bestätigung, dass es richtig ist, was ich dort tue. Und vielleicht erinnert sich später nur ein einziges Kind ein kleines bisschen daran, wie ich mit ihnen umgegangen bin.
Weihnachten und Silvester einmal anders
Neben Frost und Kälte und einer Menge Stress hat sich in den Wintermonaten aber auch noch viel anderes ereignet, zum Beispiel die Feiertage am Ende des Jahres, die wieder einmal die Gelegenheit zu kleineren Reisen boten. Diese Ausflüge hinaus aus Cluj lassen mich immer wieder ein kleines Stückchen dieses Landes kennen und damit fast zwangsläufig verbunden auch lieben lernen. Weihnachten, mir bisher bekannt als Ferien, Zusammensein mit der Familie, Entspannung beim Skifahren und viel Ruhe, verlief dieses Jahr etwas anders: nicht nur, dass ich meine Familie diesmal nicht dabei war, sondern auch die restlichen Umstände waren neuartig. Die Feiertage verbrachte ich zusammen mit Nonnen in einem Dorf sozusagen am gefühlten Ende der Welt. Vier Freiwillige, die wir auf dem Sprachkurs im Herbst in Bukarest kennen gelernt haben, leisten ihren Dienst bei einem katholischen Schwesternorden in einem kleinen Dorf in der Moldau, in der Nähe der Stadt Bacau. Die Provinz Moldau, der Teil Rumäniens, der sich im Osten des Landes sozusagen außerhalb des Karpatenbogens von der ukrainischen Grenze an der zu Moldawien bis hin zur Dobrudscha, dem Donaudelta, erstreckt, gilt als ärmste des Landes. Das ist auch deutlich zu spüren: Die Menschen, die mir auf meiner Reise auf den Bahnsteigen begegneten, waren nicht die gutsituierten, wie es sie in Siebenbürgen und so auch in Cluj doch häufiger gibt als in dieser Region. Hinzu kommt, dass das Landleben in Rumänien ohnehin kaum mit dem in Westeuropa zu vergleichen ist: Fließendes Wasser ist in vielen Gebieten eine Seltenheit, geheizt wird mit Holz, die Menschen leben zu einem großen Teil von dem, was sie selbst in ihren Gärten oder kleinen Höfen produzieren und die Kirche bzw. Religion ist oft viel stärker noch Orientierungspunkt, als es etwa in Deutschland im Durchschnitt der Fall ist. Zu Weihnachten waren wir nun acht Freiwillige aus Deutschland in dem Dorf Schineni, das sich entlang einer einzigen Straße ungefähr zwei Kilometer weit hinzieht. Und obwohl anfangs zumindest bei mir die Weihnachtsstimmung nicht so wirklich aufkommen wollte, wurden es sehr schöne Tage dort. Wir nahmen an der Weihnachtsfeier der Kinder des Dorfes teil, mit denen die dortigen Freiwilligen auch arbeiten. Auf der Feier gaben wir auch ein deutsches Weihnachtslied zum Besten und mir wurde vorgeführt, dass auf rumänischen Weihnachtsfestivitäten Choreographietänze zu Discomusik fest zum Programm gehören. Später gingen wir mit einem Jungen aus dem Dorf âColindeâ singen, eine rumänische Tradition, bei der in kleinen Gruppen von Haus zu Haus gezogen und ein âColindâ, ein Weihnachtslied, gesungen wird, wofür man dann Süßigkeiten, Kekse oder etwas Geld erhält. In den Städten, in denen auch Erwachsene herumziehen, wird dabei nicht zu knapp Schnaps ausgeschenkt. Auf dem Dorf ziehen eigentlich nur die Kinder herum, doch wir als Ausländer, als Exoten, waren auch geduldet. Gegen Abend sollte dann für uns auch noch die gewohnte Weihnachtsstimmung aufkommen. Zusammen mit den Schwestern, die größtenteils aus Deutschland kommen, feierten wir dann ein wenig âdeutsches Weihnachtenâ mit einem wunderbaren Essen, rumänischen und deutschen Weihnachtsliedern und nicht zu knapper Bescherung. Dieser Besuch hat mich zum ersten Mal in meinem Leben zu Weihnachten in eine christlische Kirche gebracht, auch das ein neuer Eindruck. Der Jahreswechsel führte mich dann mitsamt 20 anderen Freiwilligen in ein weiteres kleines Dorf, diesmal in Transsilvanien, in der Nähe von Sibiu oder Hermannstadt, wie der deutsche Name der Stadt lautet. Hermannstadt ist das Zentrum der Siebenbürger Sachsen, die einen Großteil der deutschen Minderheit in Rumänien stellen (nach den Ungarn und den Romas die größte Rumäniens). Sie wurden vor etwa achthundert Jahren von dem damaligen ungarischen König eingeladen, in das Gebiet des heutigen Siebenbürgens überzusiedeln, um die Städte gegen die Angriffe der Türken zu befestigen, die regelmäßig den Landstrich verwüsteten. So kamen Deutsche aus der Gegend um Luxemburg, nicht etwa aus Sachsen, und begannen mit dem Bau der Kirchenburgen, die einige Orte vor erneuter Zerstörung bewahren sollten. Das ist der Grund dafür, dass man heute in Städten wie etwa Sibiu, oder Sighisoara/Schäßburg noch mittelalterlich deutsch anmutende Innenstädte bewundern kann. Sibiu ist übrigens europäische Kulturstadt 2007 und durchaus einen Besuch wert! Aber zurück zu den Siebenbürger Sachsen, die in Rumänien wegen ihrer âdeutschen Gründlichkeit und Tüchtigkeitâ oft ein hohes Ansehen genießen. Um 1940 stellten sie gemeinsam mit anderen Deutschen, wie etwa den Banater Schwaben aus der Gegend um Timisoara/Temeschwar im Südwesten, noch vier Prozent der Gesamtbevölkerung (800.000 Menschen); nach Umsiedlungen im Zweiten Weltkrieg, Deportationen in die UdSSR nach dem Frontwechsel Rumäniens an die Seite der Sowjetunion 1944, Auswanderung in der Ceausescu-Zeit und vor allen Dingen einer großen Auswanderungswelle nach der Wende 1989 sind jetzt noch etwa 60.000 Deutsche in Rumänien verblieben. Unter ihnen sind meist alte Menschen, die ihre Heimat nicht mehr verlassen wollen und mit denen die sächsische Kultur in Siebenbürgen buchstäblich auszusterben droht. Vor kurzem war ich in einem kleinen, ehemals deutschen Dorf im Banat, das seit der Wende komplett leer steht; nur noch im Sommer kommen die ehemaligen Bewohner zurück, um ihren Urlaub dort zu verbringen. So verfallen heute schon viele der kleineren Kirchenburgen Siebenbürgens, auch in dem kleinen Dorf Hosman/Holzmengen, in dem wir schon im Herbst ein Freiwilligenseminar hatten. Dort trafen wir uns nun wieder und nutzten das fast leer stehende und nur von einer Freiwilligen bewohnte Pfarrhaus für unsere Silvesterparty, die mit drei Tagen auch nicht zu kurz ausfiel...
Einmal ist immer das erste Mal oder Wie viel einfacher manche Dinge werden, wenn man Deutsche ist...
Von ein paar kleineren Details möchte ich Euch noch berichten, denn manchmal widerfahren mir hier Dinge, die mich im ersten Moment ziemlich verwundern und im zweiten schlicht zum Schmunzeln bringen. Und manchmal stoßen sie mich beim dritten Überdenken darauf, welche Vorteile ein deutscher Pass doch bringen kann. Ob ich mich über diese Erleichterungen freuen soll, da sie mir das Leben um einiges angenehmer machen, oder ob der fade Beigeschmack, den sie mit sich bringen, stärker ist, weiß ich noch nicht so genau. So habe ich etwa noch ich in meinem Leben so schnell neue Familienmitglieder bekommen. Meine neuen Vermieter nämlich, ein Rentnerehepaar, waren hin und weg, dass sie jetzt eine Deutsche in der Wohnung beherbergen âdürfenâ. Und da sie sehr um mein Wohlergehen als junge Westeuropäerin in diesem fremden und ihrer Aussage nach so heruntergekommenen Land besorgt sind, erklärte mir der Mann sofort, dass ich bei Problemen jeder Art immer zu ihnen kommen könne. Sie hätten Zeit und keinerlei Verpflichtungen, da ihr eigener Sohn in Kanada sei. Ich könne also vollstes Vertrauen zu ihnen haben, sie würden wie Großeltern für mich da sein. Und da der Mann ein bisschen deutsch kann und der Meinung ist, dass Großeltern âOmamaâ und âOpapaâ genannt würden, meldet er sich bei Telefonaten nun stets als âOpapaâ... Dass ich mich in meiner neuen Einzimmerwohnung bestens umsorgt fühle, brauche ich wohl kaum noch zu erwähnen. Wie ich an diese Wohnung gekommen bin, war auch nicht unbedingt erwartungsgemäß. Ich habe noch nie in meinem Leben eine Wohnung gesucht. Das musste einmal kommen. Allerdings wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass es dafür geschickt sein könnte, mit ungefähr 100 anderen Menschen bei Minusgraden fast zwei Stunden anzustehen, um ein Anzeigenblatt zu kaufen; das Clujer Wohnungsanzeigenblatt kann nämlich in einem einzigen Laden in der ganzen Stadt schon am Abend vor dem eigentlichen Erscheinen ergattert werden. Und auch wenn ich danach ganz schön kalte Füße hatte, hat es sich doch insofern gelohnt, als ich am nächsten Abend den Schlüssel zu meiner neuen Wohnung in der Hand hatte. Eingestellt war ich eigentlich aufgrund die Wohnungsodysseen anderer Freiwilliger auf eine langwierige Suche gewesen, innerhalb von 24 Stunden war die Sache dann allerdings erledigt. So schnell kann das gehen... Neben solchen Formen der Wohnungssuche habe ich hier in Rumänien auch eine neue Art der Fortbewegung kennen gelernt: das Trampen. Aus Geldmangel stellen sich im ganzen Land viele einfach an die Straße und lassen sich kürzere oder längere Strecken mitnehmen. An den Ortsausgängen stehen teilweise über zwanzig Leute, die ihre Daumen oder Schilder mit dem jeweiligen Reiseziel in die Luft halten und auf eine Mitfahrgelegenheit hoffen. Es ist üblich, dem Fahrer etwas Geld zu bezahlen, mit etwas Glück klappt es auch umsonst. Auf diese Weise kommt man sehr viel billiger, oft sehr viel schneller und meist auch noch mit interessanten Gesprächen durchs Land, wobei es die Wartezeit an der Straße sehr verkürzen kann, wenn man westeuropäisch aussieht und Frau ist... Auch im rumänischen Gesundheitswesen ist es unbestreitbar von Vorteil, aus dem reichen Westen zu kommen. Während meiner Krankheit suchte ich etwas verzweifelt einen Arzt und fand letztendlich mehr durch Zufall einen deutsch sprechenden Arzt, nachdem ich mich schon damit abgefunden hatte, mir die Notaufnahme eines rumänischen Krankenhauses antun zu müssen. Der untersuchte mich ohne Probleme (unter den Augen meiner Freundin, die mich begleitet hatte) und röntgte mich kurzerhand auch noch. Ich möchte eigentlich nicht wissen, wie lang die anderen Leute in dem Krankenhaus auf ähnliche Untersuchungen warten mussten und wie viel Bestechungsgeld sie dafür hingeblättert haben. Zwar ist Korruption auf dem Papier verboten und zumindest die Erste-Hilfe-Versorgung in Krankenhäusern kostenlos, doch ohne ein paar Scheine (oder, wenn man die nicht hat, auch ein paar Scheiben Speck) zusätzlich ist kaum eine Behandlung zu bekommen. Mein Arzt verlangte nichts dergleichen, für mich war alles gratis. Ebenso der Kaffee, den er uns, nachdem er mir abschließend ein Antibiotikum verschrieben hatte, in die Hand drückte, verbunden mit einer fast einstündigen Unterhaltung über seine diversen Reisen in aller Herren Länder. Auch wenn das sehr nett war, war ich doch froh, mich danach in Richtung Bett bewegen zu können, allerdings nicht ohne vorher in der Apotheke für umgerechnet weniger als zwei Euro das Antibiotikum, eine Schachtel Aspirin und eine Paracetamol erstanden zu haben... Die Belege für die Medikamente an die Krankenkasse nach Deutschland einzuschicken, habe ich mir verkniffen.
So bin ich nun langsam, aber sicher bei âHalbzeitâ meines Freiwilligendienstes angekommen â wobei es sich anfühlt, als würde der Dienst mit einer neu gewonnen Lockerheit erst jetzt so richtig beginnen. Diese größere Entspanntheit lässt mich alltägliche Widersprüche im Kindergarten besser ertragen und trotzdem den Sinn meiner Anwesenheit erkennen; auch über (sehr viel weniger werdende) Kommunikationsprobleme auf Rumänisch erlaubt sie mir hinwegzusehen; ein Regentag oder eine Erkältung ist nicht mehr gleich ein Zusammenbruch; ich renne nicht mehr im Affenzahn durch die Straßen, um pünktlich um jeden Preis zu sein (und damit eigentlich immer zu früh). Es kommen immer wieder Situationen vor, die ich nicht überblicke, es gibt Tage, an denen nicht besonders viel nach Plan läuft, manchmal überschwemmt mich der krasse Unterschied zwischen meinem Leben und dem der Kinder noch, doch ich habe mehr das Gefühl, mit alledem nicht einfach völlig überfordert zu sein, wie es zwischenzeitlich der Fall war. Ich habe aufgehört, krampfhaft zu verlangen, dass alles perfekt laufen muss. Dass das manchmal nicht funktioniert, so viel Mühe ich mir auch gebe, habe ich in den letzten Monaten erkennen müssen. Die Welt ist deswegen nicht untergegangen, verläuft nur in vielleicht etwas anderen Bahnen als geplant. Ich kann mich selbst nun etwas lockerer sehen, kann mir Fehler zugestehen und mir erlauben, wirklich aus ihnen zu lernen, etwas, was ich mir vorher im Grunde nicht zugestehen wollte. Ich bin jedenfalls sicher, dass ich dieses Land um viele Erfahrungen reicher verlassen werde, Erfahrungen, die ich ohne diesen Freiwilligendienst schwerlich hätte sammeln können. Schon jetzt kann ich sagen, dass sich diese 18 Monate mehr als lohnen, nicht nur wegen der vielen Feiern, Ausflüge und des ersehnten Gefühls, frei von von Eltern und der Schule auferlegten Verpflichtungen und sonstigen Zwängen zu sein, sondern auch gerade wegen den vielen ungemütlichen und unschönen Dinge, die mir widerfahren sind und die ich zu sehen bekomme. Gerade die bringen mich zu kleinen Grundsatzüberlegungen und Veränderungen in mir selbst. Auch wenn der Eindruck einer schönen Reise oder einer durchtanzten Nacht natürlich nicht zu verachten ist...
Schöne Grüße aus Rumänien, Eure Johanna