Erfahrungsbericht Neuseeland

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Land
Neuseeland
Träger
Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. 
Freiwillige/r
anonym

Hohepa HomesAuckland

Von der Vorbereitung bis zum Abflug


Vom 21.08.2003 bis zum 21.08.2004 leistete ich meinen "Anderen Dienst im Ausland" down under, im 30 Flugstunden entfernten Neuseeland ab.
Um diese Stelle zu bekommen war viel Engagement, Zeit und Geduld notwendig. Welchen Träger wähle ich ? Welches Land? Welche Arbeit? Wie gestalte ich meine Bewerbung? All diese Fragen standen bis zum Abflug im Vordergrund. Zehn Monate vor Dienstbeginn erhielt ich Bescheid und war im ersten Moment überglücklich. Es war wie ein Lottogewinn. Neuseeland. Viele wissen nicht mal, wo das genau ist. Schnell stellten sich neue, andere Fragen: Was erwartet mich? Wie wird die Arbeit? Die meisten Sorgen waren unbegründet, denn das Abenteuer am anderen Ende der Welt sollte ein unvergessliches werden.

Die Arbeit bei Hohepa


Hohepa Auckland ist eine Einrichtung für 13 geistig behinderte Erwachsene. Die Ganztagesstätte bietet komplette Betreuung und Verpflegung an, so dass die "guys" in den drei eigenen Häusern untergebracht sind. Sie teilen sich den Wohnraum mit den anderen Zivis. Sechs Stellen bietet Hohepa an, die Aufgaben sind unterschiedlich verteilt. Jan, Joscha, Friedjoff und Juga (Praktikantin) halfen beim "Recreational Service":Anziehen, Frühstücken, Dinner kochen, Waschen, Aufräumen, Outings machen, Lebensmittel kaufen, Fahren. Sie hatten ein "Split-shift" von 6:30-9Uhr und 16-21:30 Uhr und zweimal wöchentlich einen "Sleepover".
Tagsüber arbeiten die Behinderten in einer Ausbildungsstätte, die von "Hohepa Auckland" und dem "Kotuku Trust", ebenfalls eine Betreuungseinrichtung, im Januar 2002 gegründet wurde. F.E.A.T. (Further Education And Training) war der eigentliche Arbeitsplatz von mir, wo die Förderung der gesellschaftlichen Integration und der eigenen Fähigkeiten "trainiert" wird. Von 9 bis 16 Uhr waren bis zu 42 "Clients" mit Behinderungen wie dem Down-Syndrom, Autismus oder dem Prader-Willi-Syndrom beschäftigt. Es war eine sehr intensive und prägende Erfahrung, die einzelnen Persönlichkeiten und ihre Behinderungen, kennen zu lernen. Als ich ankam, war meine anfängliche Aufregung und die Frage, wie ich mich verhalten soll zimelich unbegründet. Gleich am ersten Tag wurden mir neugierige Fragen gestellt und ich kam mit mehreren guys ins Gespräch.
Meine Aufgaben gestalteten sich sehr differenziert, beim Einarbeiten half mir jedoch zunächst mein Vorgänger und später ein Mitzivi, mit dem ich die meisten Aktivitäten teilte. Darunter fällt einerseits die Gartenarbeit. Das große Grundstück von Hohepa erfordert viel Pflege und man kann z.B. Anpflanzen, Rasenmähen, Eintopfen, etc. machen. Bei der "Horticulture" hatte ich eine einheimische "Gartenchefin", die mir nicht nur die ganzen englischen Begriffe der Werkzeuge beibrachte, sondern immer als Ansprechpartnerin da war.
Waren wir nicht im Garten, fand im Workshop Kunst, Bastelarbeit, Computertraining, Storywriting, etc. statt. Aber auch Büchereibesuche, Sport, Spaziergänge oder Lernspiele gehörten dazu.
Persönlich bemerkenswert war meine "Musikschulzeit" mit dem Autisten Mark. Er wusste das Piano zu spielen, bevorzugete jedoch "neue" Popsongs und das Keyboard. Obwohl ich noch nie Unterricht gegeben hatte, klappte es hervorragend, wenn auch langsam. Wir genossen es beide, er die Rhythmen oder wenn er einen Song erkannte und ich, wenn er eine schwierige Stelle meisterte. Viele Dinge fielen mir auf, z.B. erfuhr ich, welche Details die einzelnen Behinderungen ausmachen. Natürlich gab es immer mal Schwierigkeiten. Wenn Jonathan, der extrem nuschelt, mich etwas fragte, konnte ich ihn kaum verstehen. Trotzdem erwartete er eine Antwort. Oder Mark, der bei Aufregung anfing, wild durch den Raum zu springen und mit den Armen zu rudern. Mit der Zeit wurde ich richtig routiniert und geduldig, so dass sich meine Betreuung verbesserte, weil ich einschätzen konnte, was ich mit wem machen konnte. Daraus ergaben sich Erfolge. So brachte ich Dale das Rasenmähen bei oder Julian das simple Lesen von Zahlen.
Mit den Mitarbeitern hatte ich ebenfalls ein exzellentes Verhältnis, so dass mir die Trennung nach einem Jahr schwer fiel. Ich war total gerührt, als sich jeder aus der Gruppe sich persönlich verabschiedete und ich das FEAT-Buch erhielt, in das jeder mir einen Gruß geschrieben und gemalt hat.


Unterkunft, Freizeit, Verschiedenes


Das Jahr zusätzlich geprägt hat natürlich das Erfahren der Landeskultur Neuseelands. Als einziger war ich privat untergebracht, bei einer Mitarbeiterin von Feat. Somit hatte ich ein richtiges Zuhause mit Gastfamilie. Nach der Arbeit nutzte ich die Zeit, um die Millionenstadt Auckland kennen zu lernen. Die Metropole hat ihren ganz eigenen Charakter, da ihre Einwohner aus unterschiedlichsten kulturellen Gegenden stammen: Europäer, Maoris, Asiaten, Bewohner der Pazifischen Inseln, Inder. Außerdem prägen die nahe Küste und die Vulkanerhebungen das Stadtbild, der One-Tree-Hill oder der Mount Eden befinden sich nahe des Zentrums. An der Westküste besichtigten wir die sehenswerten Strände, gingen Surfen und Boogieboarden. Die abwechslungsreiche Landschaft war atemberaubend, während das Citylife ebenfalls alles bot, was man braucht. Auffällig war, dass meistens wir deutschen Zivis etwas miteinander unternahmen. Der Vorteil war, dass wir unser eigene kleine Clique hatten, der Nachteil, dass wir wenige Kiwis kennen lernten und viel Deutsch sprachen.
Ich unternahm mehrere Reisen durch das "Europa im Westentaschenformat", wie ein Reiseführer es nennt, dessen Fläche nur um ein Viertel kleiner als die Deutschlands ist. Über Weihnachten, im neuseeländischen Sommer, besuchten mich meine beiden Brüder und wir erkundeten das Northland. U.a. ging es bis zur Nordspitze, dem Cape Reinga, wo der Atlantik mit der Tasmansee zusammentrifft. Wunderschöne Postkartenstrände luden uns immer wieder zu Stops ein. Bemerkenswert war das "Weihnachtsbarbecue" am Strand von Kerikeri. Bei 25 Grad grillten wir unter Palmen, statt unter dem Tannenbaum zu sitzen. Weiteres Highlight war die Besteigung des Vulkans Mt Ngauruhoe (2291m), der auch als Schicksalsberg aus dem Film "Der Herr der Ringe" bekannt ist. Im März bekam ich erneut Besuch: Mit meinen Eltern und meiner Freundin bereiste ich die Südinsel. Innerhalb weniger Autostunden wechselte dort die Landschaft. Zunächst fuhren wir an großen Seen vorbei, die an Schottland erinnerten, entlang der Westküste mit schwarzen Stränden und zwei Gletschern, zur ehemals französischen Siedlung Akaroa. Anschließend folgten wir der Küste nach Kaikoura, wo hohe Berge fast bis ans Meer grenzen, und erreichten schließlich den Abel Tasman Nationalpark, wo wir tropenähnliche Strände vorfanden. Abschließend sahen wir die Marlborough Sounds, eine zerklüftete Fjordgegend. Meine letzte Reise war spektakulär. Regelmäßig war ich zum einzigen nationalen Handballclub in Auckland gegangen. Dort spielen vorrangig Europäer, da der Sport bei den "Kiwis" unbekannt ist. Als der "Pacific Cup" in Australien bevorstand, wurden alle Spieler gefragt, ob sie in der neuseeländischen Nationalmannschaft spielen würden. Da es darum ging, das Turnier auf dem Olympiagelände in Sydney überhaupt stattfinden zu lassen, wurden auch Ausländer zugelassen. So spielte ich mit drei Deutschen, zwei Ungarn, einem Franzosen, einem Chilenen und einigen Neuseeländern gegen die Mannschaften aus Australien, Tahiti, Neu-Kaledonien und den Cook Islands. Wie es sich gehört, tanzten wir vor jedem Spiel den "Haka", den Kriegstanz der Ureinwohner, wie es etwa die neuseeländischen Basketballer bei Olympia gemacht haben. Zudem besichtigten wir die Stadt, sahen die bekannte Oper und die Harbour Bridge. Zurück in Neuseeland genoss ich die letzten Wochen bei den Kiwis. Vor allem deren lockere Lebenseinstellung ("Take it easy!") und Freundlichkeit gefiel mir, selbst wenn manches sehr strikt war: Zum Beispiel durfte man keinen Alkohol in der Öffentlichkeit trinken.

Fazit


Nach zwei Monaten zu Hause erscheint das Jahr wie ein Traum. Gleichzeitig habe ich so viele Erinnerungen, die z.B. beim Betrachten der Fotos immer wieder aufkommen. Fange ich an, die wertvollen Erfahrungen, die ich gemacht habe aufzuzählen, wird mir die Bedeutung und Itensivität des Jahres deutlich. Dazu gehört der Umgang mit behinderten Menschen. Früher war ich wie alle. Ich wusste im ersten Moment nicht, wie ich reagieren sollte, anstatt ganz natürlich mit ihnen umzugehen. Hinzu kommt das Lernen der englischen Sprache (ein bisschen habe ich dann doch gelernt) oder die Kultur. Einerseits kommt man sich am Ende der Welt schon wie in einem "westlichen" Land vor, andererseits gibt's viele eigene Sitten und alles geht langsamer vor sich, als im hektischen Europa. Letztlich besuchte ich wunderschönes Land, lernte Leute kennen, lernte für mich selbst. "Den Horizont erweitern". Dies ist eine der üblichen Erwartungen. Und ja, ich denke genau das ist passiert, jedoch in einem viel größerem Maße, als ich es mir im Vorfeld vorgestellt hatte.
Hier möchte ich den "Freunden der Erziehungskunst" ganz herzlich danken, ohne die meine Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Ich danke dem fleissigem Team in Kralsruhe!

Gruß an Anwärter


Alle, die ihr vor dem Auslandsjahr steht, möchte ich zurufen: "Freut euch drauf!". Eine gesunde Aufregung ist sicher immer da und auch nötig. Allerdings machte ich die Erfahrung mir zu viele Fragen zu stellen. Geht neugierig und interessiert an die Sache, seid offen für andere Meinungen und probiert euch selbst und eure Fähigkeiten einzubringen. Dann läufts ganz schnell wie von selbst. So komisch der Anfang sein mag, das vergeht. Beim einen schneller, beim anderen - dazu gehöre ich - langsamer. Trotzdem werdet ihr schnell merken, dass ihr die richtige Entscheidung getroffen habt!

Alles Gute, Cheers,
Julian Mertens

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