Erfahrungsbericht Polen

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Land
Polen
Träger
pax christi Diözesanverband Aachen
Freiwillige/r
anonym

Behindertenheim Bobrek

Mein Dienst begann mit einer zweimonatigen Vorbereitung, darunter drei Wochen Sprachkurs, die den Grundstein für die Verständigung bieten sollten. Gegen Ende der Vorbereitungszeit wurde ich eine Woche von meinem Vorgänger eingearbeitet.

Die ersten Tage im Heim waren ziemlich hart. Ich habe kaum etwas verstanden, wusste nicht was ich tun sollte. Dazu kommt, das die Bedingungen in einem polnischen Behindertenheim leider ganz und gar nicht mit denen in Deutschland zu vergleichen sind. Vierzehn Behinderte halten sich einen großen Teil der Zeit in einem großen Gruppenraum auf, Drei solcher Räume sind durch einen geräumigen Korridor verbunden. Da es nur wenige Betreuer gibt, ein bis zwei pro Gruppe, und diese alle täglich anfallenden Arbeiten erledigen müssen, kommen die Behinderten nur selten aus diesen Räumen heraus. Alleine die Station verlassen dürfen nur die wenigsten, da die Behinderungen recht schwer sind und es zu gefährlich wäre.

Hier komme ich nun als Freiwilliger ins Spiel. Wenn das Wetter gut ist, hohle ich Schuhe und Jacken aus dem Schrank, helfe beim Anziehen (ich bin inzwischen Meister im Schuhe binden) und auf geht’s nach draußen. Leider kann ich hier auch nicht allen gerecht werden, denn mehr als einen Rollstuhl schieben geht nicht, und mehr als einen Dickkopf kann ich auch nicht mitnehmen, wenn ich alle wieder heil mit zurück bringen will. Meine ersten Spaziergänge waren ziemlich stressig, ich habe mich selbst überfordert, indem ich bis zu elf Behinderte mitgenommen habe.
Ihr glaubt gar nicht, was auf so ein paar hundert Metern Spaziergang alles passieren kann. Einer isst eine Handvoll unbekannter Beeren, der nächste erschreckt ein paar kleine Kinder, der dritte ist Zigarettenstummel, einer ist vorne schon um die nächste Ecke gegangen, während ein anderer noch irgendwo im Haus ein paar Fotos betrachtet. Und dazwischen steht der Freiwillige Richard, mit seinen paar Wörtern Polnisch und versucht Ordnung zu schaffen. Sicher ein lustiges Bild, zumal die Behinderten bereits alle erwachsen sind.

Auch außerhalb der Arbeit war es am Anfang nicht einfach. Ich hatte zwar Glück, und eine nette Mitbewohnerin, mit der ich mir eine hübsche Zweizimmerwohnung teilte, aber der Wechsel von „Hotel Mama“ zur „großen Freiheit“ ist gerade in einem fremden Land nicht so einfach. Plötzlich muss man alles alleine tun, und hat dabei noch wenig Möglichkeiten sich auszutauschen.
Ein Beispiel: Es hängt ein Zettel am Schwarzen Brett im Wohnblock, bei dem ich zwar erkenne, dass eine ganze Menge sch-Laute darin vorkommen, aber weiter nichts verstehe. Also Fotoapparat heraus geholt, Foto gemacht und auf damit zum Vermieter. Dort höre ich mir eine Viertelstündige Erklärung an, bei der ich allerdings nur immer wieder „woda“ verstehe, und das Datum, das mir der Vermieter auf ein Blatt schreibt. Aha, es wird also das Wasser abgelesen. Bis ich dem Vermieter klar gemacht habe, dass ich an diesem Tag nicht kann, und ein anderer Termin gefunden ist, vergeht wieder eine ganze Weile. Schließlich ist ein Termin gefunden, und der Vermieter ruft netter weise die angegebene Telefonnummer an und erklärt das mühsam erarbeitete. Dann erklärt er mir noch, dass der Wasserzähler neben dem Klo ist, was ich zum Glück verstehe, Klo ist schließlich eine wichtige Vokabel. Ich bedanke mich, gehe nach Hause und habe einen ganzen Nachmittag mit etwas verbracht wozu ich in eigener Sprache vielleicht zehn Minuten gebraucht hätte. Dafür habe ich bestimmt zwanzig neue Vokabeln gelernt und ebenso viele Möglichkeiten der Verständigung ohne Worte...
Richart Hertel, Freiwilliger 2007-2008

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