Erfahrungsbericht Finnland

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Land
Finnland
Träger
ICJA Freiwilligenaustausch weltweit e.V.
Freiwillige/r
anonym

Ruskeasuon koulu

Heute ist der 25. November 2005, das sind 107 Tage nach meiner Ankunft im Land der tausend Seen, genauer gesagt in der weißen Stadt des Nordens.

Nach meiner Ankunft in der Hauptstadt wollte man mir gleich mal einen richtigen Eindruck dieses Landes geben. Denn Großstädte sind hier nicht sehr verbreitet. Ich wurde also mit 20 anderen Freiwilligen aus allen Teilen der Welt auf das Ankunfts- und Sprachseminar geschickt, das "In the Middle of Nowhere", wie wir zu sagen pflegten, stattgefunden hat. Dafür war der obligatorische See aber auch gleich mit dabei und die Sauna darf man natürlich auch nicht vergessen.

Auf diesem Camp haben wir hauptsächlich finnische Sprache und finnische Kultur, Sitten und Bräuche gelernt. Aber auch unsere Rechte und Pflichten als Freiwillige wurden ausführlich behandelt. Nach der trockenen Theorie kam aber auch der Spaß nicht zu kurz.

Nach diesem Camp war ich dann zum ersten Mal in meinem Projekt, eine Schule für körperbehinderte Kinder. Viele dieser Kinder haben auch eine geistige Behinderung, allerdings sind sie wegen ihrer körperlichen Behinderung an der Schule, denn sie bekommen neben dem Unterricht auch Physio-, Sprach- und Ergotherapie.

Ich bin in einer sechsten Klasse, in der sieben Schülerinnen und Schüler sind. Meine Aufgaben sind ziemlich unterschiedlich. Zuerst einmal unterstütze ich die Pflegerinnen und Pfleger, indem ich bei Toilettengängen, beim Essen, sowie beim An- und Ausziehen der Kinder helfe. Aber dann helfe ich auch in den Schulstunden mit, das heißt ich bin dafür mitverantwortlich, dass die Kinder in meiner Klasse in den richtigen Lernrollstühlen sitzen oder in den "Standgeräten" stehen. Im Unterricht selbst helfe ich den Kindern beim Herrichten ihrer Sachen, gebe ihnen was sie brauchen und helfe beim Schreiben, wenn sie es selbst nicht können.

Die Kinder haben sehr unterschiedliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Möglichkeiten, weshalb ein gemeinsamer Unterricht in den Hauptfächern nicht möglich ist. Der Lehrer gibt den Kindern deshalb einzeln Aufgaben, die für ihren Wissensstand angemessen sind. In der Mathestunde habe ich immer eine Schülerin, für die ich schreibe. Da der Lehrer nicht für alle Kinder zur gleichen Zeit da sein kann, erkläre ich meiner Schülerin, was sie machen soll und schreibe dann für sie. Allerdings ist es manchmal ein bisschen problematisch, denn ich muss ihr alles auf Englisch erklären (wer weiß schon, was rechter Winkel, Trapez oder Gerade auf Englisch heißen???). Das größere Problem ist aber, dass sie es auch noch verstehen muss. Aber wir kriegen das meistens ganz gut hin, und wenn wir eben wirklich nicht weiterkommen, muss der Lehrer helfen.

Bei dem letzten Gespräch mit meiner Mentorin, die auch die Klassenlehrerin meiner Klasse ist, haben wir beschlossen, dass ich in Zukunft auch ein paar Kunststunden vorbereiten werde. Das ist eine Herausforderung, denn manche Kinder können fast nichts machen, manche können dagegen ihre Hände sehr gut gebrauchen. Ich muss also etwas finden, dass für die einen nicht zu leicht, vor allem aber für die anderen nicht zu schwer ist. Die ersten Stunden finden in der Vorweihnachtszeit statt, also werden wir wohl etwas Weihnachtliches basteln.

Da ich mit anderen Freiwilligen eine Woche in Russland war und deshalb nicht im Projekt war, habe ich mit meiner Mentorin abgesprochen, dass ich jetzt immer ein bisschen länger arbeite. An die Schule ist ein Internat angeschlossen, da die Kinder, die von weiter her kommen, nicht immer heimfahren können. Nach der Schule bin ich also im Internat, das mir viel besser gefällt, als die Schule selbst. Dort kann man mit den Kindern basteln, spielen, spazieren gehen, in die Stadt fahren oder einfach nur quatschen. Es ist viel lockerer und entspannter. Ich freue mich immer, wenn ich dort arbeite, denn man weiß nie, was einen erwartet.

Ich wohne übrigens in einer Gastfamilie, die aus einer siebzehnjährigen Tochter und einer Mutter besteht. Wir wohnen am Rand von Helsinki. Leider ist das ziemlich weit von der Schule, in der ich arbeite, weshalb ich immer eine Stunde im Bus sitzen muss bis ich dort bin und dann natürlich auch wieder eine Stunde zurück fahren muss. Aber Mila von ICYE Finnland hat mir gesagt, dass das oft in Helsinki vorkommt, weil die Gastfamilien eben nicht immer nebenan wohnen. Übrigens, die meisten Freiwilligen in Helsinki wohnen in einer Gastfamilie, weil die Mietpreise in der Stadt so hoch sind.

In meiner Freizeit gehe ich zwei mal in der Woche in einen Finnischkurs (der sehr zu empfehlen ist!). Finnisch, übrigens, finde ich nicht so schwierig, wie immer gesagt wird. Das Problem ist, dass in Finnland wirklich fast jeder Englisch spricht. Dadurch muss man eigentlich nie finnisch sprechen und hat deshalb Schwierigkeiten, genügend Übung zu bekommen. Aber es ist nicht unmöglich, die Sprache nach einem Jahr fließend zu sprechen, wie meine Vorgängerin im Projekt bewiesen hat. Sie spricht fließend finnisch und jeder sagt, dass sie die Sprache wirklich gut beherrscht.

Außerdem denke ich, dass viele sagen, dass finnisch sooooooo schwierig ist. Dadurch hat man schon eine Blockade im Kopf, die verhindert, dass man anfängt, finnisch zu sprechen. Ich ermuntere also jeden, der nach Finnland geht: Lasse dir nicht einreden, dass finnisch zu schwierig sei, um es in einem Jahr zu lernen und fange früh genug an, mit Leuten finnisch zu sprechen!!!

Unter der Woche war ich am Anfang auch in einem Chor, der mir mit der Zeit aber nicht mehr gefallen hat, weshalb ich jetzt nicht mehr gehe.

Ich werde mir allerdings noch etwas suchen, dass ich unter der Woche machen kann. In Helsinki gibt es ein großes Angebot an Kursen, wie Tanz, Musik, Handarbeit und Kunst. Da werde ich mich umschauen.

Zum Schluss kann ich noch ein paar Gründe geben, die für Finnland sprechen:

- Schöne Natur, viele Seen und Wälder, man hat viele Möglichkeiten, Wandertouren, Kanutouren oder Fahrradtouren zu machen

- Keine überfüllte Metro (wie Paris oder Moskau)

- Super gute Bibliotheken (Helsinki), in denen man auch viele englisch- und deutschsprachige Bücher finden kann, außerdem kann man dort kostenlos ins Internet gehen

- Viele kulturelle Angebote auch für Ausländer (in englischer Sprache)

- Tolles ICYE Team: Es lohnt sich, über ICYE nach Finnland zu kommen. Die ganzen Freiwilligen von anderen Organisationen beneiden uns, weil ICYE so viel für uns macht und organisiert

- Es gibt viele Finnen, die sich aufrichtig über Ausländer freuen und sich gerne mit ihnen unterhalten


Aber komme nicht nach Finnland wenn

- du die Einsamkeit hasst. Natürlich nicht in Helsinki, aber ich kenne einige Freiwillige, die manchmal über Einsamkeit klagen.

- du schnell Depressionen kriegst. 7% der Finnen sind schwer depressiv. Das hat mich geschockt! Aber ich habe von einer Depression noch nichts gespürt.

- du keine Sauna magst. In fast jedem Haushalt befindet sich eine Sauna, die sehr häufig benutzt wird. Finnen verstehen nicht, wie man die Sauna nicht mögen kann

- du keine Kartoffeln magst. Finnen lieben es, außerordentlich viele Kartoffeln zu essen. Als ich auf meinem EVS Camp war, gab es jeden Tag Kartoffeln (mittags und abends). Ich konnte nach der Woche keine mehr sehen.

- Du denkst, dass niemand aus Deutschland nach Finnland geht. Es sind immer sehr viele Deutsche in Finnland

- Du nicht auf dem Land leben kannst. Als ich in der Deutschklasse meiner Gastschwester zu Besuch war, habe ich erzählt, dass ich aus einer Kleinstadt in Deutschland komme, die ca. 5000 Einwohner hat. Die ganze Klasse hat mich mit großen Augen angeschaut und gefragt, ob das wirklich eine Kleinstadt sei! Was ich damit sagen will: Die meisten finnischen Städte haben weniger als 5000 Einwohner.

- Du viele verschiedene Fernsehsender brauchst, denn es gibt nur vier!

- Du unter 21 Jahren alt bist und am liebsten jedes Wochenende ausgehen willst. Die Altersgrenze ist in den meisten Bars und Clubs 21 Jahre und wenn du jünger bist, dann musst du immer schon um 20.30 Uhr oder so kommen, wenn sie noch nicht kontrollieren. Das ist echt ätzend, vor allem, wenn du es schon gewohnt bist, fast überall reinzukommen.

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